Zum Scheitern verurteilt: Wie wir uns im Recruiting selbst sabotieren

Insbesondere in Auswahlprozessen läuft so viel schief, was jedoch viele gar nicht bemerken. Kaum ein Bereich hat das Potenzial, so viele Fehler zu verschleiern und gleichzeitig allen das Gefühl zu geben, alles richtig gemacht zu haben. Aber warum ist das überhaupt so?

Das grundsätzliche Problem beim Recruiting ist, dass man in der Regel wenn überhaupt nur die "False Positive" Fälle erkennt und nicht die "False Negative" Fälle.
Noch einmal kurz zur Erläuterung:
  • False Positive: Es wird jemand eingestellt, der sich als nicht so kompetent erweist, wie man es vorher gedacht hat.
  • False Negtive: Es wird jemand deselektiert, der den Job jedoch gut hätte machen können.
Genau diese "False Negative" Fälle sind in Anbetracht des Fachkräftemangels besonders ärgerlich. Auch, weil man sie hundertprozentig selbst verantwortet und sie in der Regel vermeidbar sind. Im folgenden zeige ich mehrere typische Fehler, die dazu führen, dass wir gute Kandidaten nicht einmal erkennen, wenn sie vor uns sitzen.

Die Bias-Falle:
Hierüber könnte ich ein ganzes Buch schreiben - deswegen nur die Kurzversion. Es gibt eine Vielzahl von psychologischen Verzerrungs-Effekten, die dazu führen können, dass man seine Neutralität verliert und Gleiches nicht gleich bewertet bzw. Personen anderes bewertet, als es objektiv richtig wäre. Diese Verzerrungen verändern die Wahrnehmung - so nehmen manche Menschen (unbewusst) die Handlung von Frauen anderes wahr, als die gleiche Handlung von Männern. Andere bevorzugen unbewusst schöne Menschen oder (der Klassiker) Menschen, die einem selbst ähnlich sind. Damit schafft man alles, aber keine objektive Personalauswahl.

Eine schöne Überischt findet man hier bzw im größeren Format hier.
Cognitive Bias Codex. 2016

Self fullfilling prophecy:
Eine Situation, die jeder Recruiter kennt. Der Fachbereich war von Anfang an schon skeptisch bei dem Kandidaten, aber hat sich nach längerem Zureden dazu überreden lassen, ihm eine Chance zu geben. Dann kommt das Gespräch - und man merkt schon: Der Fachbereich hat eine so negative innere Grundeinstellung, dass der Kandidat überhaupt keine Chance mehr hat. Man merkt das an der Stimme, an der Geschwindigkeit, an der Bissigkeit bei Nachfragen etc. Und natürlich ist es dann auch so: der Kandidat fällt durch und der Fachbereich sieht sich in seinem Vorurteil auch noch bestätigt.
Ein Teufelskreis, denn beim nächsten mal wird er genau so reagieren.
Wenn ich von vorneherein in ein Gespräch mit der Einstellung gehe, dass der Kandidat nicht passt, dann wird er höchstwahrscheinlich auch nicht passen - dafür werde ich unbewusst schon sorgen. Eine selbsterfüllende Prophezeiung.

Falsche Tools:
Um mal einen meiner Lieblings-Eigngungsdiagnostiker sinngemäß zu zitieren "Wenn ich etwas messen will, dann brauche ich das richtige Messinstrument. Wenn ich die Temperatur messen möchte und dazu eine Uhr nehme, dann werde ich zwar ein Ergebnis bekommen und das vielleicht auch glauben. Ich werde jedoch nicht wissen, wie die Temperatur ist."
Im Recruiting bedeutet dies: Wenn ich eine gewisse Kompetenz messen möchte, dann muss ich auch die passenden Fragen stellen bzw. Methoden anwenden. Stelle ich andere Fragen, kommen naürlich Ergebnisse dabei heraus, die in jedem Fall ein Problem bedeuten.

Nicht durchdachte Situative Fragen:
Ein gern genutztes Instrument im Recruiting ist die Arbeit mit sogenannten situative Fragen, in welchen man den Interviewten sich in eine Situation hineinversetzen lässt. Gerne wird hierbei eine wichtige Voraussetzung zum Gelingen dieses Instruments unterschätzt: Es muss bei beiden Seiten Klarheit über die erklärte Situation herrschen. Erklärt der Interviewer die Situation ungenau, kommt es häufig vor, dass Bewerber und Interviewer komplett aneinandere vorbei reden.
Machen wir mal ein Beispiel, das zeigt, wie unterschiedlich Situationen interpretiert werden können: Stellt euch vor, vor euch steht ein Mann mit Bart, der euch intensiv anschaut und dann einen Finger an seiner rechten Hand hebt. Wie wirkt diese Situation auf euch?
Der eine denkt dabei ein Jürgen Klopp, der euch motivierend den Daumen entgegenstreckt. Der nächste denkt dabei an einen dicken wütenden Biker, der euch den Mittelfinger zeigt. Beides auf Grund der Beschreibung absolut passend, aber man erkennt sehr schnell, dass diese Situation nur negative Ergebnisse produzieren wird.

  • Und was können wir jetzt dagegen machen? In erster Linie müssen wir uns alle darüber klar werden, dass Recruiting ein Handwerk ist. Ein Handwerk, welches man lernen kann und muss. Ein Handwerk, welches auch geschützt werden muss. Ein Handwerk, auf das wir - die es gelernt haben - alle stolz sein können und sollten. Wir können und müssen das Korrektiv sein, welches Fachbereiche dazu weiterentwickelt, dass sie diese Fehler nicht mehr machen. Aber davor müssen wir erst einmal dafür sorgen, dass wir nicht die selben Fehler machen.

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