Wenn Candidate Experience Managament zum "Bewerber Weichspülen" wird

Inspiriert von einem Post von Michael Witt (Team Lead Recruitment at Voith Industrial Services) bei LinkedIn mit dem passenden Titel "Candidate Experience - der schmale Grat", möchte ich mich nun einmal wieder dem Thema Candidate Experience widmen. Und daben auch der Frage, wo der Übergang von einem sinnvolle Candidate Experience Management zu einem Bewerbern-nach-dem-Mund-reden stattfindet und ob dies unumgänglich ist.


Aber der Reihe nach - als erstes widmen wir uns dem Beitrag von Michael Witt. Michael ist neben seiner Tätigkeit bei Voith auch als Personalblogger aktiv und einer der Initiatoren des Recruiter-Slams.


Der schmale Grat? Ja, so geht es mir zumindest ab und zu bei meiner Recruitingpraxis. Der schmale Grat zwischen wohlwollendem und auf den Bewerber bezogenen Handels und dem strategischen „Bewerber weichspülen“. Manchmal frage ich mich, ob wir, nachdem alle Facetten und Argumente der Candidate Experience beachtet und erfolgreich durchgeführt sind, dann überhaupt noch den „Mut“ haben dürfen dem Bewerber bzw. dann ja dem Mitarbeiter zu sagen was er zu tun hat und was er arbeiten soll. Besonders fällt mir das bei Stellen auf, die in bestimmten Bereichen beispielsweise mit Sichtarbeit und auch körperlich anstrengender Tätigkeit verbunden sind. Hier klaffen dann schon teilweise die die blumigen Darstellungen auf den Karriereseiten mit den tatsächlichen Tätigkeiten auseinander. Daher ist die Konzeptionierung einer gut funktionierenden Candidate Experience nicht nur eine unerlässliche Aufgabe eines jeden Unternehmens, sondern eben auch ein schmaler Grat zwischen Authentizität und Glaubwürdigkeit. Wer sich jedoch überhaupt nicht mit dem wichtigen Thema auseinandersetzt, der wird auf lange Sicht Probleme bekommen. Daher ist es eine Notwendigkeit die unternehmenseigenen Touchpoints zu lokalisieren, zu gestalten und  entlang dieser den Bewerber bis ins Unternehmen hinein zu begleiten. Also, bleiben Sie authentisch!
(25.05.2015 von Michael Witt)
Zusammengefasst in einer Frage: Schaffen wir mit dem Streben nach einer möglichst optimalen Candidate Experience nicht ein weniger authentisches Selbstbild als Arbeiteger? Meine erste Reaktion: Da ist durchaus etwas dran! Diesen schmalen Grat gibt es definitiv. Auf der einen Seite möchte man Bewerber begeistern und auf der anderen Seite ist möglicherweise nicht alles, was man einem Bewerber erzählen müsste, positiv.

Aber den muss es nicht zwingend geben.

Meiner Auffassung nach ist die Wahrscheinlichkeit sogar relativ hoch, dass man sich nicht auf diese Gratwanderung begeben muss, wenn man sein Candidate Experience Management über den Recruiting-Prozess hinaus steuert.

Wenn sich mit der Theorie der Candidate Experience beschäftigt, dann sieht man, dass es eine Ableitung des Themas Customer Experience ist. Die gängigen Definitionen von Customer Experience enden nicht etwa beim Kaufprozess, sondern bei dem Konsum des Produktes, der Dienstleistung o.ä. (Vgl. Kacker 2011 und Meyer/Schwager 2007).

Also stellt sich die Frage, warum man diesen Gedankengang im Bereich Candidate Experience vernachlässigt. Macht es nicht vielmehr Sinn, ein Candidate Experience Management ganzheitlich zu betrachten? Also bis zum "Konsum" des "Produktes"  - dem Job? Nur dann kann man den Vergleich von geweckter Erwartungshaltung zu erfüllter Erwartung aufstellen. Eine der Methoden, wie man ein sinnvolles Erwartungsmanagement durchführen kann, ist die sogenannte Realistic Job Preview (RJP). Dabei geht es daraum, dem Bewerber einen möglichst realistischen Ausblick auf seine spätere Tätigkeit zu geben. Manchmal kann das schwer sein, weil die Alltagsrealität nicht immer rosarot ist. Aber auch Bewerber wissen dies - und wenn ein potenzieller Bewerber mit einer zu erwartenen Job-Situation nicht klar kommt, dann ist er höchst wahrscheinlich nicht der richtige Bewerber bzw. es ist nicht der richtige Job.

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