Warum wir mehr Mindeststandards im Recruiting benötigen und damit unsere Qualität und Professionalität steigern

Die letzten Monate haben es mir noch einmal sehr deutlich gezeigt. Wir brauchen eine Weiterentwicklung der Professionalisierung im Recruiting. Graphologie und zweifelhafte Sprachanalyse auf der einen Seite und Angst vor KI auf der anderen Seite. Hier muss mehr kommen! Einer der Wege dahin kann in einer konsequenten Einführung von Qualitätsstandards liegen, die aus meiner Sicht im Bereich Recruiting längst überfällig sind und aktuell noch Mangelware sind.

Mir ist bewusst: Es gibt wahrscheinlich kaum ein Wort, welches so langweilig und eintönig klingt, wie 'Standard'. Klingt nach 08/15, nach unflexibel, Schildbürgertum, EU-Norm über Gurkenkrümmung etc. Jedoch sind Standards allgegenwärtig und sorgen dafür, dass wir ein extrem komfortables Leben führen. Die Qualität unseres Trinkwassers, der Strom aus unserer Steckdose, die Qualität unserer Ausbildungen leben alle von der Verlässlichkeit unserer Standards. Das wird einem erst bewusst, wenn man irgendwo ist, wo es diese Standards nicht gibt.


Wir brauchen Mindeststandards in der Recruiter-Ausbildung


Wir jammern im Recruiting (und das nehme ich hier stellvertretend für alle Professionen, die sich mit der Personalbeschaffung beschäftigen) gerne darüber, dass wir nicht Ernst genommen werden. Dabei gibt es kaum eine diffusere und wenig standardisierte Profession als uns. Recruiter kann sich jeder nennen – also ist es ja auch naheliegend, dass jeder denkt, dass er Recruiting kann.


Seit Jahren stelle ich sehr gerne Absolventen/innen im Recruiting ein. Warum? Weil ich teilweise ernüchtert bin, wie eindimensional der Erfahrungsschatz von einigen erfahrenen Recruiter ist. Aber wer kann es ihnen übelnehmen? Es gibt ja keine Standards. Jeder lernt primär das, was er in seinem Unternehmen als gegeben sieht und das ist in jedem Unternehmen anders. Noch zu wenige schauen über den Tellerrand hinaus.


Warum setzen wir uns nicht dafür ein, dass es eine Basis-Ausbildung für Recruiter gibt, die wir langsam als Standard einführen? Grundlagen von Interviewführung, Recruiting-IT, Statistik und KPIs für Recruiter, Recruiting-Prozesse, Betriebliche Mitbestimmung etc. Wir einigen uns auf ein Curriculum und Lernziele und dann können meinetwegen auch mehrere Dienstleister dafür zertifiziert werden, das dann umzusetzen. Das würde auch schon im Studium ein klareres Bild davon geben, was Recruiting alles beinhaltet und bedeutet. Es gibt nur wenige Professoren, die hier versuchen dran zu arbeiten und in regelmäßigen Praxisaustausch stehen - wie bspw. Prof. Dr. Wald.


Gleichzeitig wird der Recruiting-Alltag immer komplexer: Algorithmen und AI stehen quasi schon an der Türe und müssen und uns verstanden, genutzt, hinterfragt und ggf. überwacht werden. Das Amazon-Beispiel, bei dem die Recruiting-KI systematisch Frau diskriminiert hat, muss ein dringender Warnschuss sein für uns alle. Und das führt uns zu:


Wir brauchen Mindeststandards für gewisse Lösungen bzw. Dienstleister


Es ist längst überfällig, dass sich für Standards bei unseren Dienstleistern einsetzt. Nahezu alle Dienstleister können mir als Recruiter doch Zahlen um den Kopf werfen noch und nöcher. den Großteil werde ich nie im Leben verifizieren oder falsifizieren können. Also gibt es keine Glaubwürdigkeit. Hier helfen nur neutrale Qualitätsstandards.


Und selbst, wenn ich dem Dienstleister unterstelle, dass er voll und ganz die Wahrheit sagt, so gibt sehr viele unterschiedliche Definitionen von den Kennzahlen, die sie liefern.


Seit einiger Zeit arbeiten wir sehr eng mit der Firma HRI Solutions zusammen, die bei uns und vielen anderen Unternehmen das Recruiting-Analytics macht. Die machen einen super Job, aber sind auch auf die Datenqualität /-validität der Jobbörsen, Dienstleister abhängig. Hier sind Standards dringend nötig – denn die Dienstleister haben häufig überhaupt kein Interesse daran, dass Vergleichbarkeit und Transparenz entstehen.


Die Verantwortung liegt bei uns – und vor allem unseren Verbänden


DGFP, BPM, QUEB – alle Verbände tragen gemeinsam die Verantwortung dafür, dass wir hier Lösungen finden, die unsere Profession voranbringen. Branchenunabhängig arbeiten schon einzelne Projekte (wie bspwl. Algorithmenethik.de) an Standards für Algorithmen. Das ist jedoch nur ein Mosaikteil. Wir brauchen nicht die hundertste Insellösung oder rein von wirtschaftlichen Interessen vom privaten Anbietern geprägte Lösungen. Also liebe Verbände, Interessenvertretungen etc. lasst uns bitte gemeinsam an einem Strang ziehen und gemeinsam hier Lösungen erarbeiten. Ich - und viele Kollegen/innen - stehe/n hier gerne zur Verfügung. Wir müssen bereit sein, den Weg zu gehen, der Recruiting dahin bringt, wohin es gehört.

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